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28.08.2008 / Feuilleton / Seite 12 / Junge Welt

Sozialist zu Fuß

Landwirt, Sozialwissenschaftler, politischer Aktivist: Eberhard Dähne zum 70. Geburtstag.

Von Georg Fülberth

In der langen Geschichte der Klassenkämpfe ist in den letzten Jahrzehnten eine neue Bewegung aufgetreten: Die Kerosin-Linke. Ihre Mitglieder begeben sich mit Flugzeugen zu Weltsozial- und anderen Gipfeln, halten sich dort gegenseitig Reden über Umweltruin und die Gefahren des Erdöls und enteilen danach wieder durch die Luft zum nächsten weit entfernten Ort, an dem, wie sie meinen, ihre Auffassung zur Kenntnis genommen werden muß. Dem Sozialisten Eberhard Dähne, der am 28. August siebzig Jahre alt wird, ist solche Vogelschau eher fremd. Er ist meistens zu Fuß unterwegs, und man wundert sich, wieviel er mit dieser rückständigen Verkehrsart doch in seinem Leben bewegt hat.

Ein Landwirt beim SDS

1938 als kleiner Leute Kind in Bad Freienwalde an der Alten Oder geboren, verließ er mit fünfzehn ganz allein - seine Mutter kam später nach - die DDR, nicht weil er gegen den Sozialismus gewesen oder verfolgt worden wäre, sondern weil ihm die Art, wie mit seinen Schulkameraden von der »Jungen Gemeinde« umgesprungen wurde, nicht paßte. Dabei hatte er weder religiös noch politisch mit ihnen etwas gemeinsam, aber er fand: wo so kujoniert wurde, durfte es einem wie ihm nicht gefallen. Kaum war er in der Bundesrepublik, merkte er: die war auch nichts für ihn. Wann er Sozialist geworden ist, weiß man gar nicht so genau. Vielleicht war er das schon von Geburt an. Nach dem Abitur machte er bei einem Bauern eine Landwirtschaftslehre. Er schloß sich der Gewerkschaft Gartenbau, Landwirtschaft und Forsten an und war in Kiel Leiter der Sozialistischen Jugend »Die Falken«. In dieser Stadt studierte er Agrarwissenschaft und schloß als Diplomlandwirt ab. Seinen Lebensunterhalt verdiente er als Arbeiter und Vorarbeiter auf dem Seefischmarkt. 1960/61 war er in Kiel Gruppenvorsitzender des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), 1961/62 wurde er dessen Bundesvorsitzender und zog nach Frankfurt/Main. Es war die Zeit, in der die SPD sich von ihrem Studierendenverband trennte. Eberhard Dähne hat das zäh zu verhindern versucht, nicht weil er an dieser Partei, der er in Kiel beigetreten war, besonders hing, sondern weil er der Ansicht war: Je länger man sich halten konnte, desto mehr Leute kann man anschließend mitnehmen. Anfang November 1961 ließ es sich nicht mehr vermeiden. Aus einer Telefonzelle heraus konnte Dähne noch einmal den Parteivorsitzenden Erich Ollenhauer erreichen. Doch der beschied ihn: »Es ist genug gesprochen. Für weitere Gespräche besteht kein Bedarf« und legte auf.
Der SDS flog raus und Eberhard Dähne gleich mit.
Unter finanziellem und bürokratischem Gesichtspunkt hätte der Verband jetzt erledigt sein müssen, denn er bekam kein Geld mehr von der SPD und aus dem Bundesjugendplan. Der SDS-Vorsitzende aber brauchte nicht viel. Die laufenden Geschäfte erledigte er von seiner Studentenbude aus, seine Rundreisen bewältigte er per Anhalter. Der SDS überlebte, unter anderem auch durch Förderung von linken Gewerkschaftern und Hochschullehrern, die Eberhard Dähne, begleitet von Fritz Lamm, abklapperte.
Nach seiner Zeit als SDS-Vorsitzender arbeitete er einige Jahre als wissenschaftlicher Assistent in Marburg. An der Universität wollte er aber auf Dauer nicht bleiben. Der Wissenschaft, insbesondere der empirischen, ist er bis heute leidenschaftlich ergeben, aber das gespreizt Akademische stieß ihn immer ab. Statt dessen gründete er 1968 das »Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung«, das Regionaluntersuchungen u.a. für kommunale Körperschaften und für das Rationalisierungskomitee der deutschen Wirtschaft betrieb. Seine soziologische Dissertation über den tertiären Sektor wird heute noch gern herangezogen.
1966-1968 beteiligte sich Eberhard Dähne an einem jetzt weitgehend vergessenen, aber damals ziemlich aufregenden Projekt. Nachdem die SPD sich in die große Koalition mit der CDU/CSU begeben hatte, wurde der Versuch unternommen, eine neue sozialistische Partei zu gründen. Wieder war er in der gesamten Bundesrepublik unterwegs. Eine »Sozialistische Konferenz« in Offenbach Anfang Februar 1968 sollte der nach außen weithin sichtbare Start sein. Vorn auf der Bühne wurden Reden gehalten, hinten bediente Eberhard Dähne die Wachsmatrizen-Kopiermaschine. Ein Arbeitsausschuß mit einem kleinen Büro wurde eingerichtet, und hier ackerte er den Sommer über. Am Karfreitag 1968 stand er in Frankfurt vor der Druckerei der Bild-Zeitung. Als die Polizei losging, bekam er die Gummiknüppel ab - ich, hinter ihm, blieb verschont.
Aus der sozialistischen Partei wurde nichts: Die Mehrheit des SDS war anti-parlamentarisch, die Kommunisten gründeten lieber die DKP. In Marburg war ein lokaler Vorposten der ausgebliebenen Organisation übriggeblieben: eine »Arbeitsgemeinschaft Sozialistische Opposition« (ASO). Im Oktober 1968 trat sie zur Kommunalwahl an. Spitzenkandidat: Eberhard Dähne. Sie erhielt 3,5 Prozent, blieb unterhalb der Sperrgrenze, hatte aber der SPD so viele Stimmen abgenommen, daß deren rechtssozialdemokratisches Establishment stürzte und dort eine wenige Jahre währende Linkswende eingeleitet wurde.
Eberhard Dähne, zugleich in Marburg Ortsvorsitzender der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen, hatte sich inzwischen in die Kommunalpolitik verliebt. Sachkompetenz erwarb er bei seinen Regionalforschungen. Ein von ihm mitgegründeter »Kommunalpolitischer Arbeitskreis« mischte die Stadt auf, verschmolz mit der DKP (Dähne trat bei), und diese kam 1972 mit 5,2 Prozent in die Stadtverordnetenversammlung.
Das war ein Schock. Als bei einer Gebietsreform achtzehn Dörfer eingemeindet wurden, kam es 1974 zur Neuwahl, und allgemein nahm man an, der DKP-Spuk sei dann wieder vorbei. Am Ende waren es dann 9,1 Prozent. Die SPD flüchtete sich in eine große Rathauskoalition mit der CDU, und bei der nächsten Wahl, 1977, stieg der DKP-Anteil noch einmal auf über zehn Prozent.

Unbemerkt verschwunden

1979 legte Dähne sein Mandat nieder und ging nach Kassel, dann nach Frankfurt. Ein Erbe zu verwalten - und sei es sein eigenes -, liegt ihm nicht. Er arbeitete am »Institut für Marxistische Studien und Forschungen« in Frankfurt/Main und war dort der Ansprechpartner für alle, die kommunalpolitisch etwas wissen wollten. Ergebnis dieser Arbeit ist das von ihm organisierte Handbuch »Gemeindeleute«.
In der Schlußkrise der DKP hielt er sich weder zu den Neuerern noch zu den Alterern, machte statt dessen ein paar Vorschläge, die niemand so recht hören wollte, und als die Partei 1989/1990 in ihrer bisherigen Form zerfiel, trat sie eher aus ihm aus als er aus ihr. Der PDS schloß er sich nicht an, aber er hat ihr geholfen, als sie im Westen schwach war und gleich zu Beginn schon am Ende schien. 2001 ist er zusammen mit Heiner Halberstadt in die Stadtverordnetenversammlung von Frankfurt/Main eingezogen. Hier war er auch der erste Oberbürgermeister-Kandidat dieser Partei. Zur Wahl der Stadtverordnetenversammlung 2006 trat er nicht mehr an. Das war klug, denn auf welchem Platz er auch kandidiert hätte (und wäre es der letzte): er wäre nach vorn kumuliert worden.
Bei dieser Gelegenheit zeigte er, daß er eine Kunst beherrscht, die es in der Politik sonst fast gar nicht gibt: rechtzeitig vernünftige Leute nachzuziehen und dann so diskret zur Seite zu treten, daß einerseits das Verschwinden scheinbar gar nicht bemerkt wird und andererseits der Vorgänger unter seinen Nachfolgern voll präsent bleibt. Wer sich mit ihm verabreden will, trifft ihn in Frankfurt am ehesten im »Club Voltaire« in der Kleinen Hochstraße. Vielleicht wird er diese Glückwunschzeilen gar nicht genau an seinem Geburtstag lesen. Da ist er nämlich - wie jedes Jahr - wieder in einem Mittelgebirge unterwegs. Er studiert Land und Leute. Zu Fuß.


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